Oder: Instagram, bevor es kalt wird!
"You're such a foodie", sagte der syrische Marxist im Urlaub zu mir, wenn ich mich darüber beschwerte, dass schon wieder Fast Food auf der Tagesordnung stand. Dass ich ein Foodie sei, wurde mir schon mehrfach mit leicht abwertendem Unterton vorgeworfen, aber ich habe mich selber nie als Foodie gesehen. Bis ich plötzlich vorgestern trotz Hunger lange in der Küche stand, um Suppengrün kleinzuschneiden und meine Gemüsebrühe selberzumachen. Während die Suppe dann eine Stunde lang auf dem Herd köchelte, hatte ich Zeit, mich näher damit zu beschäftigen, was ein Foodie eigentlich ist.
Eine vertrauenswürdige und absolut zitierfähige Internetquelle sagt, Foodies sind
Feinschmecker und Kenner von Qualität, [sie] schätzen Selbstgemachtes und hochwertige Zutaten. Gesundheit und Genuss sind ihnen gleichermaßen wichtig. Viele Foodies sind Vegetarier. Foodies sind in der Regel Ende 20 bis Anfang 50 und meist weiblich. [...] Foodies [sind] interessierte Laien, die gutes Essen und Trinken in seiner Gesamtheit lieben, sich für die kulturellen Hintergründe interessieren. Dabei verfolgen sie die neuesten Trends im Bereich des Kulinarischen.
Alles klar, mal sehen.
Zu den objektiv feststellbaren Basics: Weiblich bin ich, aber nicht
zwischen Ende 20 und Anfang 50. Aber auch die Foodies brauchen ja
Nachwuchs.
Feinschmecker? Was ist das denn wieder? Die bereits genannte vertrauenswürdige Quelle verweist hier auf den Eintrag Gourmet, allerdings grenzt der Eintrag Foodie Foodies von Gourmets ab.*
Kenner von Qualität, ja, das kommt inzwischen fast hin. Früher habe ich lieber viel und billig gegessen, aber inzwischen weiß ich, dass es - auch beim knappen Studentenbudget - nicht immer der billigste Käse sein muss. Ich kann es mir nicht leisten, exorbitante Summen für Essen auszugeben, aber ich kaufe lieber etwas weniger, dafür aber hochwertigere Produkte. Damit wäre auch der Punkt "hochwertige Zutaten" abgehakt. Selbstgemachtes schätze ich auch, sonst hätte ich mir die Stunde gespart, die die Gemüsebrühe brauchte. Ich backe auch mal Brot oder Brötchen selbst oder stelle mein eignes Pesto mit Basilikum aus dem Garten her.
Das mit dem Vegetarier ist ein schwieriger Punkt. Ich habe mit sieben Jahren beschlossen, Vegetarierin zu werden, was ich auch immer mehr oder weniger konsequent durchgehalten habe. Inzwischen esse ich allerdings regelmäßig Fisch und ganz selten Fleisch. Vegetarierin bin ich somit nicht, aber ich koche meist vegetarisch, manchmal auch vegan. Mein Kochstil lässt sich auch nicht einer bestimmten Ernährungsweise zuordnen. Da ich als Foodie ja die kulinarischen Trends verfolge, weiß ich, dass zurzeit die paleo diet angesagt ist, außerdem sind vegane und glutenfreie Küche gerade ganz groß. Ich möchte mich allerdings nicht durch irgendwelche Zutaten- und Zubereitungsvorgaben in meinem Genuss einschränken lassen, weswegen ich das Prinzip verfolge, zu essen, was mir guttut.
Ja, ich liebe "gutes Essen und Trinken in seiner Gesamtheit". Ja, ich bin ein Foodie.
Und wofür brauchte ich gestern die Gemüsebrühe? Als echter Foodie bin ich natürlich auch auf Essens-Blogs unterwegs und bin dort auf zehn Rezepte für Herbstsuppen gestoßen. Vorgestern stand mir der Sinn nach Minestrone mit Pasta, Spinat und getrockneten Tomaten. Die Suppe war nicht nur sehr lecker, sondern sah auch so aus.
Das musste ich natürlich sofort mit meinen Facebook- und Instagram-Freunden teilen. Das ist bei uns Foodies ja ganz schlimm - bis wir das Gericht fotografiert, mit Filtern bis zur Unkenntlichkeit entstellt und dann hochgeladen haben, ist die Suppe kalt. Das Essen kann man auch nicht recht genießen, weil man ständig nachschauen muss, ob man schon ein Like hat. Dabei könnte essen so schön sein. Und was sagt der syrische Marxist? Ich sei ja "so generation Y."
Auf das gute Essen!
* Und deshalb, Erstis, ist Wikipedia eben keine zitierfähige Quelle.
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