Donnerstag, 26. September 2013

Was bleibt, ist ein Shampoo

Oder: Die marxistische Jugend muss ihren Feind kennen

Neben mir sitzt der syrische Marxist und liest, ausgerüstet mit einem pinken Bleistift und einer Tasse Kaffee, Foucaults Ordnung der Dinge. Wir reden viel über Politik, über Philosophie, über politische Philosophie. Zusammen bereisen wir dieses Land, arbeiten uns von Süden nach Norden, schlafen in billigen Hotels.

Wir wollten unbedingt ans Tote Meer. Seit ich in der fünften Klasse ein Foto gesehen habe, auf dem jemand im Toten Meer treibt und eine Zeitung liest, war es einer meiner Träume, dort hinzureisen. Von Amman aus dauert es etwa eine Stunde bis zum Toten Meer, wir hätten morgens hin- und abends zurückfahren können. Aber wir hatten uns eine Belohnung verdient nach all den Strapazen des Rucksackreisens, sodass wir uns entschieden haben, uns für eine Nacht in eins der zahlreichen Fünf-Sterne-Resorts am Toten Meer einzuquartieren.

Nun wäre der syrische Marxist kein Marxist, wenn er nicht ständig über Klassenkampf und die Bourgeoisie reden würde. In den billigen Hotels haben wir sie nicht getroffen, die böse Bourgeoisie, den Feind der Arbeiterklasse, den ewige Gegenspieler. Und plötzlich standen sie dort, in der Lobby des Marriott, die Menschen, für die Luxushotels kein Neuland sind.

Es ist erstaunlich, wie schnell sich die marxistische Jugend in dieses System eingefügt hat. Pools, Restaurants und ein Spa, das Massagen anbietet, die mich ein halbes Monatsgehalt kosten würden. Plötzlich war die Bourgeoisie nicht mehr der Feind des syrischen Marxisten, sondern das Objekt des Neids. Wir saßen am Pool, haben den Gin Tonic auf die Zimmerrechnung setzen lassen, haben uns gesonnt und gelesen. Haben die teuersten M&Ms meines Lebens aus der Minibar gegessen und dabei kein schlechtes Gewissen gehabt. Haben in der Spa-Sauna geschwitzt und danach beim Italiener gegessen.

Unser Kellner hatte "Luigi" auf seiner Uniform stehen, ich habe angenommen, er sei Italiener. Es stellte sich heraus, dass er keinesfalls Italiener war, sondern Jordanier, und Luigi war auch nicht sein richtiger Name. Für eine Sekunde fand ich das irritierend, danach trank ich einen Schluck Pinot Grigio und war mit der Welt wieder im Reinen. 

Im Toten Meer sind alle gleich, das Salzwasser macht keinen Unterschied zwischen Klassen. Wir ließen uns treiben zusammen mit all den anderen Hotelgästen. Auf einmal waren die, die sich so elegant und wissend durch die Hotellobby bewegt hatten, genauso hilflos wie wir. Es ist ein großartiges Gefühl, sich dem Salzwasser hinzugeben und sein ganzes Vertrauen in diesen See zu legen. Das ist für alle gleichermaßen eine Überwindung, die sich sowas von lohnt.

Auf Karl Marx!

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